Stanisław Benski: NATAN GLYCYNDERS LACHEN

Stanisław benski wurde 1922 in warschau geboren. Im Warschauer Ghetto kamen seine mutter und sein bruder ums leben; der vater wurde von den deutschen erschossen. Benski kämpfte als partisan gegen die deutschen. Ab 1964 war er zwanzig jahre lang leiter eines wohnheims für überlebende der Shoah; er starb 1988.

Hier erzählt der autor von überlebenden polnischen juden; vorrangig sind es bewohnerInnen dieses heims und menschen, die ihnen verbunden sind. NATAN GYLCYNDERS LACHEN ist ein poetisch verdichtetes werk; auch vielfältigste lebensgeschichtliche nuancen machen die geschichten nicht zu reportagen. Niemand wird vorgeführt, nie geht es nur um effektvolle zusammenstellungen. Im mittelpunkt der begegnungen und situationen stehen erinnerungen, die mit dem gegenwärtigen lebensalltag der heimbewohnerInnen (und anderer überlebender der Shoah) verwoben und dadurch bewahrt und zur ressource für das weiterleben werden. Nicht regressiv ist das, sondern identitätsbewahrend und -stärkend. Einbezogen sind erinnerungen an das schreckliche, die traumatischen zerstörungen. Persönliche geheimnisse und untiefen, scham und schuld, liebe und ungeklärte beziehungen von damals sind ungreifbar eingeschmolzen in der von den deutschen vernichteten welt; nichts davon läßt sich wirklich klären, heilen, weiterleben. Nur in vielen kleinen schritten kann etwas davon wenigstens teilweise verarbeitet werden, in erinnernden gesprächen, in einsamem grübeln, in der zwiesprache mit vögeln (die die namen von toten schtetl-bewohnern bekommen). –

Dennoch sind alle diese tief verletzten, heimatlosen, schrulligen bewohnerInnen des heims nicht nur opfer; sie führen, im rahmen ihrer verbliebenen möglichkeiten, ihr eigenes, unverwechselbares leben in die zukunft hinein. Tröstliche phantasie und alltägliche realität, tapferkeit, müdigkeit und zuversicht, leugnen und trauern verflechten sich moment für moment. Nichts, keine kleinigkeit ist mehr belanglos in diesem leben danach – nachdem die selbstverständliche heimatwelt vom erdboden verschwunden ist, ausradiert. Jedes winzige moment von selbstbestimmung, bereits das erzählenkönnen, ist manifest des überlebthabens, des neuen lebens.

Alles, jede nuance, die beiträgt zu einem guten leben, ist bedeutsam und wird achtsam porträtiert – bis hin zu den farben der kopftücher. Nichts davon ist selbstverständlich für die überlebenden der Shoah; das leben ist nicht mehr selbstverständlich für überlebende existenzieller traumaerfahrungen. Und seltsam: gerade diese menschen, die während des terrors der okkupation alles verloren hatten außer dem nackten leben, nehmen sich zeit.. – zeit, ihr gerettetes, ihr übriggebliebenes eigenes leben zu leben, in all seinen augenblicken, mit eigenkreisläufigkeiten und redundanzen. Jedes bewahrte oder neu etablierte moment (mit-)menschlichen lebens, jedes alltagsritual bedeutet selbstvergewisserung und selbstbehauptung. Sehr deutlich wird das tiefe bedürfnis (bei uns allen) nach vorhersehbarkeiten, vertrautheit, gewohnheiten – und damit geborgenheit in der welt.

Ein ironischer, kabarettistischer, manchmal bitterer humor ist in diesem buch, schmerzlich, in wortloser trauer – natan glycynders lachen – dann wieder wie auf bildern von chagall. In mancher hinsicht sind diese geschichten surreale parabeln, die vom terror jener zeit genau auf der gratlinie zwischen phantasie und realität berichten (gelegentlich auch darüber streiten), – und damit helfen können, schreckliches, traumatisches zu überleben. Parabeln, die (so oder ähnlich) zweifellos in diesem heim entstanden sind, zwischen all den Shoah-überlebenden (zu denen der autor gehört). Manche sind herzzerreißend, grauenhaft, andere wirken unprätentiös, geradezu banal – beim ersten lesen. Und alle sind es wert, nochmal gelesen zu werden. Tragisches und humoristisches, ungeheuerliches und triviales, heiliges und billiges geht ineinander über – hoffnungsloses durcheinander, hinter der die frage steht: Welchen wert hat das leben von menschen – nach all dem, was war?

Jede dieser vignetten steht für hunderte, tausende ähnlicher geschichten. Von denen wiederum stünde jede einzelne für ein ganzes leben.. – All diese reste, fetzen, splitter, trümmer von erinnerungen und empfindungen, von reaktionen und ängsten, von sehnsucht und trauer, das grübeln, der rückzug und das schweigen – all das verweist auf millionen jüdischer menschenleben, deren jedes eine welt für sich war, die von den nazis, ihren taktischen unterstützern und ihren mitläufern gnadenlos zerstört wurde.

(Aus dem nachwort des herausgebers)

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