Bettina v. Arnim / Rudolf Baier: ZEUGNISSE EINER ARBEITSBEZIEHUNG (1844-47)

Bettina v. Arnim veranstaltete seit 1839 eine Gesamtausgabe der Werke ihres 1831 verstorbenen Ehemanns Achim v. Arnim und suchte hierfür einen Mitarbeiter, der ihr bei der Neubearbeitung der Volksliedersammlung DES KNABEN WUNDERHORN, die ebenfalls in diese Gesamtausgabe aufgenommen werden sollte, zur Hand ginge. Der damals 26jährige Student Rudolf Baier, dem diese wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der gefeierten, fast 59jährigen Bettina als ein unverdientes Glück und eine große Auszeichnung erscheinen mußte, stellte sich dafür gern zur Verfügung und so ist Baier zwei Jahre lang Bettinas Mitarbeiter an der Neufassung des WUNDERHORNS gewesen. Die Zusammenarbeit endete jedoch mit dem durch Bettine vollzogenen Abbruch der Beziehung.

Diese in der Bettine-Forschung bisher wohl allenfalls selektiv ausgewertete Dokumentation von Tagebuchaufzeichnungen Baiers sowie Briefen Bettine v. Arnims und ihm birgt aufgrund der sehr speziellen Beziehung und inhaltlichen Konstellation zwischen beiden eine Fülle von Hinweisen, die über andere Zeugnisse nicht zu finden sind.

Die Veröffentlichung durchbricht ein offenbar durchgängiges Tabu des Bettine zugewandten Publikums (damals wie heute): ihre krasse Egozentrik mit seinen unangenehmen sozialen Folgen zur Kenntnis zu nehmen, zu dokumentieren oder gar darüber nachzudenken. Die betreffenden Verhaltensweisen (von denen andere Zeitgenossen in umschreibenden Formulierungen, wie hinter vorgehaltener Hand, zu schreiben pflegten – falls sie sie aus ihren Erinnerungen nicht gänzlich herausließen) waren jedoch keine "Ausrutscher", sondern grundlegende Elemente ihrer Persönlichkeitsstruktur, sind – so meine Hypothese – Folge ihrer sozialen Einsamkeit und Isolation in und seit der Kindheit, der sehr gebrochenen und widersprüchlichen Entwicklung ihres Selbstwertgefühls. Diese Arbeitsbeziehung zwischen Bettine v. Arnim und Rudolf Baier zeigt deutlicher als jedes andere Zeugnis Bettines vitale Grenzen – und wie sie damit umging, wenn sie nicht ausweichen konnte in ihr gemäßere Formen der Kommunikation und der Aktivität.

Bettines Briefe an Rudolf Baier vermitteln beim aufmerksamen, nachvollziehenden und mitfühlenden Leser/der Leserin einen ansonsten in den letzten Lebensjahrzehnten nur in Momenten deutlichwerdenden Aspekt ihrer Persönlichkeit, eine Anmutung, die sich jedoch in ihren frühen Briefen häufig zeigt. Ich meine jene bereits angesprochene tiefgründige – und sprachlose! – Hilflosigkeit, die durch Eloquenz und verbale Überschwemmungen überspielt wird. Was in früheren Jahren noch geprägt war von der offensichtlichen Suche nach Möglichkeiten, ihr eigenes Leben zu verwirklichen in der mitmenschlichen Umwelt, hat jetzt (zumindest für mein Empfinden) etwas defensiv Beharrendes. Bettine bleibt bei sich, aber sie hat keine Kraft mehr, wirklich auf die Welt zuzugehen.

Durchgängig lese ich die hier vorliegenden Briefen bzw. Tagebuchaufzeichnungen als Zeugnisse für Bettines Bemühen, sich im durchaus angemessenen eigenen Interesse durchzusetzen in der von Warentausch und banal materiellen Interessen geprägten gesellschaftlichen Normalität. Diese Menschenwelt entsprach allerdings in keiner Weise Bettines Vorstellungen von menschlichem Miteinander! Daß sie selbst im Laufe dieser Lernprozesse situativ zu machttaktischen Verhaltensweisen griff (die teilweise ziemlich arrogant wirken), ist nachvollziehbar. –

Die vorliegende Dokumentation der Arbeitsbeziehung mit Rudolf Baier verstehe ich in mancher Hinsicht als Ergänzung der ebenfalls bei A+C veröffentlichten erweiterten Ausgabe einer Arbeit des Germanisten Werner Milch: DIE JUNGE BETTINE UND IHR SCHWERER WEG IN DIE MENSCHENWELT.

(aus der Einleitung)

auc-157-bettina-von-arnim-rudolf-baier (pdf 1,2 MB)