Clara Krollmann: ARTHUR RIMBAUD. EIN DEUTUNGSVERSUCH

Arthur Rimbaud bei Autonomie & Chaos, Teil VI

Clara Krollmann wurde am 15. 12. 1896 in Köln geboren und legte ihr Reifezeugnis 1924 am Realgymnasium Mainz ab. Sie studierte zunächst in Frankfurt/Main und Würzburg, später in Bonn, wo sie am 15.12.1928 mit der hier wiederveröffentlichten Arbeit promoviert wurde. Weitere Lebens- oder Werkzeugnisse waren leider nicht zu ermitteln. –

Der niederländische Romanist Johan Wilhelm Marmelstein schrieb 1933: "Das schöne Buch ist ein Versuch, die Homogenität sowohl im Werk als auch im Wesen des beunruhigendsten aller Dichter und des widersprüchlichsten aller Menschen zu rekonstruieren." In Deutschland wurde die Arbeit kaum zur Kenntnis genommen.

In beeindruckenden Souveränität verbindet Krollmann schrittweise die Faktoren der Persönlichkeits- und Werkentwicklung Rimbauds und vermittelt uns plausibel, emotional nachvollziehbar und nah an entsprechenden Werkzeugnissen sein Werden als organischen (existentiellen) Bewußtseinsprozeß. Zentrale Aspekte ihrer Interpretation sind dabei Rimbauds frühe Orientierung an der Antike (Prometheus) und Renaissance, – seine Suche nach einer metaphysischen Wahrheit (nach "Gott"?), – die Einsamkeit des Individuums in der modernen Welt (Rationalismus), – das Angebot eines Eingebundensein in die Ordnung der christlichen Tradition, – Rimbauds Kunst als "der Wirklichkeit anheimgegebene ganz persönliche Willensakte", – existentielle ("geistige") Hintergründe seiner Hinwendung zum Orient, – der grundlegende Unterschied zwischen Kulturflucht der Romantik und Rimbauds Intention, eine Funktion des Orients als Läuterungsprozeß...

Ohne Zweifel nimmt auch die Suche nach Bindung an etwas Umfassenderes (nennen wir's Spiritualität, Mystik, Religion, Gott, oder Urheimat) hohen Stellenwert ein bei Rimbaud. Einem christlichen, anti-aufklärerischen oder nationalistischen "Lager" kann Rimbaud jedoch genausowenig einverleibt werden wie später dem surrealistischen oder expressionistischen. Arthur Rimbaud wird heutzutage zu recht zu den ProtagonistInnen einer umfassenden Erneuerung des Lebens im sogenannten "Abendland" gezählt. Dazu zählen kreative Verbindungen zwischen gesellschaftlich-politischen Problemen und den Künsten, Individualität und Gemeinschaft, Mensch und Umwelt. Auch Spiritualität und Religion gehören integral zu diesen Grundparametern des menschlichen Lebens. All das findet sich in Rimbauds Werk und in seinem Leben. Die Bedeutung seiner Persönlichkeit und seines Werks für uns liegt gerade darin, daß er vielen unterschiedlichen Bewußtseinsbewegungen Impulse geben konnte und weiterhin kann, die sich naturgemäß verdichten und dann von Rimbaud wegführen. Jede intensive Lektüre auch nur eines Gedichts führt von Rimbaud weg: in die Welt des Lesers und der Leserin.

Bis heute wohl durch keine andere Arbeit zu ersetzen ist Krollmanns Dissertation in ihrer subtilen Achtsamkeit für Rimbaud in dessen spiritueller Suche. Das ernste Bemühen der Autorin, kulturelle, menschheitsgeschichtliche Zusammenhänge nachzuvollziehen, wird zwar im letzten Teil zum (bewundernswert konsequent durchgehaltenen) ideologischen Klapparatismus, zuletzt auch zu ekstatischer Überhöhung Rimbauds. Gleichwohl können auch diese Passagen ihrer Dissertation mit Gewinn gelesen werden, da auch sie bedenkenswerte Überlegungen enthalten, die allerdings auf Grundlage unserer heutigen Kenntnisse anders interpretiert werden können oder müssen.

auc-149-krollmann-rimbaud (pdf 1,7 MB)