Frances V. Rummell: DIANA … EINE BEFREMDLICHE AUTOBIOGRAPHIE

Neu im September 2023

1939 erschien in den USA ein Buch mit dem Titel: "DIANA – A STRANGE AUTOBIOGRAPHY". Als Autorin wurde "Diana Fredericks" genannt. Es war die erste in den Vereinigten Staaten veröffentlichte Darstellung eines individuellen lesbischen Coming Out.
Etwa 1960 erschien eine deutsche Ausgabe im Weltspiegel-Verlag (der vorrangig Pornoliteratur verlegte), unter dem Titel "DIANA – MEIN LEBEN - MEINE LIEBE - MEIN SCHICKSAL", hier unter dem Autorinnennamen "Diana Francis". Sie wurde vermutlich kaum wahrgenommen. (Dieser – sehr sorgfältig übertragene –Ausgabe liegt die hier vorliegende erste deutsche Neuveröffentlichung zugrunde.)

Die Identität der Autorin von "Diana" blieb unbekannt bis zum Jahr 2010. – Es handelt sich um Frances Virginia Rummell (1907-1969), eine promovierte Pädagogin und Kolumnistin.

Vieles scheint sich grundlegend geändert zu haben im Umkreis von Sexualität und Geschlechtsrollen (Gender) und dem möglichen und menschengmäßen weiten Spektrum innerhalb und jenseits der traditionellen Dichotomie von Hetero- und Homosexualität. Ein Grundproblem junger Menschen mit ihnen selbst noch unklarer "Geschlechtsidentität" bleibt jedoch gleich – und hat sich sogar verkompliziert in unserer pluralistischen Welt: das ist der quälende Zwiespalt zwischen der zunächst in der konventionellen Sozialisation angenommenen "normalen" Geschlechtsidentität und den hiervon (offenbar) abweichenden eigenen Empfindungen und Bedürfnissen.
Die Sozialisierung im Jugendalter hin zu einer selbstbestimmten "Geschlechtsidentität" ist und bleibt ein persönlicher, intimer Prozeß, der seine Zeit benötigt.

Die Autorin, eine hochintelligente, akademisch gebildete junge Frau, berichtet, wie sie sich in den zurückliegenden Jahren über ihre Empfindungen, ihre Situation in der sozialen Welt der 1930er Jahre und gegenüber dem Phänomen "Lesbischsein" klarzuwerden versuchte – noch ohne den Hintergrund einer lesbischen Community. Außer den wenigen frühen sexualwissenschaftlichen, medizinischen und psychoanalytischen Ansätzen zum Thema Homosexualität hatte sie nichts als ihre Lebenserfahrungen, über die sie dazuhin kaum mit Außenstehenden sprechen konnte.
Rummells Buch ist alles in allem der lebenskluge, anrührende, lehrreiche Bericht einer individuellen Entwicklungszeit, in der es keineswegs nur um sexuelle Neigungen geht. Es zeigt erschütternde Situationen menschlicher Wahrheit und menschlicher Hilflosigkeit. Auch die nuancierte Darstellung eigener Ressentiments, Ängste, Vorlieben, Überzeugungen und Schlußfolgerungen macht uns die Persönlichkeit der Autorin (die hierbei zweifellos mit ihrer Protagonistin identisch ist) auch in Momenten vorstellbar, die keinen direkten Bezug zu ihrer psychosexuellen Entwicklung haben, jedoch natürlicherweise zu deren Grundbedingungen gehören.
Dargestellt wird die kontinuierliche Orientierungssuche der Protagonistin zwischen den Vorgaben der "normalen" Gesellschaft und den Erfahrungen mit dem Lesbischsein. Dabei werden subtilste Schwankungen des Selbstwertgefühls und der inneren Impulse nachvollziehbar. Sachte wandelt sich der Blickwinkel der Protagonistin im Verlauf der Handlung. Zunächst geht sie vorbehaltlos von der übergeordnet legitimierten heterosexuellen Normalität aus, dann entwickelt sich schrittweise ihr Selbstverständnis einer ebenso natürlichen potentiellen Normalität des Lesbischseins. Dies geht allerdings nicht so weit, daß sie demgegenüber jetzt die heterosexuelle Gesellschaft in Frage stellt.

Nachvollziehbar wird in Frances Rummells Buch, wie Lesben damals alle sozialen Üblichkeiten überprüfen mußten: Vieles mußte zuerst pauschal abgelehnt werden (weil es zur "normalen" Gesellschaft gehörte), bevor im Einzelfall entschieden werden konnte, daß es durchaus auch für Lesben (bzw. für die konkret reflektierende Frau) akzeptabel sein könnte (z.B. mit Frauen zu tanzen). Das gesamte Gefüge der innerhalb der "normalen" (heterosexuell orientierten) Gesellschaft verinnerlichten kindlichen/jugendlichen Sozialisation mußte Stein für Stein umgebaut werden.
Deutlich wird in diesem Bericht auch der gnadenlose normative Druck der gesellschaftlichen Sozialisation, dem sich nur wenige Menschen, und auch die nur mühsam, entziehen können.

auc-170-rummell (pdf 1,9 MB)