Johanna Dürck: DIE PSYCHOLOGIE HEGELS

Faksimile der Dissertation von 1927.

"Fragt die naturwissenschaftliche Psychologie: Wie sind die höchsten und komplexesten Gebilde des Seelenlebens in einfache Elemente aufzulösen, so stellt der Idealismus die gerade entgegengesetzte Frage: Wie ist auch das primäre Seelische, dasjenige, in dem die schöpferische Freiheit, die das Wesen des Seelischen bildet, nicht ersichtlich ist, – wie ist auch dies aus der Einheit dieser schöpferischen Freiheit zu verstehen?"

Bereits in Johanna (Herzog-)Dürcks Dissertation von 1927 zeigt sich unmißverständlich ihr Bemühen um eine "wertverwirklichende, sinngebende" Psychologie. Grundkategorien hierfür fand sie in Hegels Anthropologie , wobei sie – nach eigenem Bekunden – wesentlich unterstützt wurde von ihrer philosophischen Lehrerin Anna Tumarkin. Ab 1933 nahm sie ihr Psychologiestudium auf; zweifellos konnte sie ihre psychologische und psychotherapeutische Konzeption gerade durch die alltäglichen Erfahrungen im NS praktisch und theoretisch ausdifferenzieren. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten entwickelte die Psychotherapeutin Johanna Herzog-Dürck (1902–1991) ihre PERSONALE PSYCHOTHERAPIE. Sie wird zu den anthropologischen Psychotherapien gezählt, die den Kranken in seinem individuellen ganzheitlichen Gefüge in den Mittelpunkt der psychotherapeutischen Arbeit stellen.

Die Schlußsätze der Dissertation lauten: "Das Problem ist noch nicht gelöst, wie das Individuelle nicht bloß negativ, gleichsam in seinem Abweichungswinkel vom Allgemeinen gesehen, sondern positiv, in seiner eigentümlichen Notwendigkeit, als eigener Ursprung von individuellen Werten, ohne welche die allgemeinen Werte niemals in Realität umgesetzt würden, erkannt werden könnte. Wie der Punkt einen Kreis von unendlicher Peripherie bestimmt, so ist das Einmalige ein Absolutes und das Nicht Wiederkehrende Unendlichkeit."

Jedoch gingen psychotherapeutische Theorie und Praxis in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts andere Wege, nicht nur in Deutschland. Nach Herzog-Dürcks Tod geriet die Personale Psychotherapie weitgehend in Vergessenheit. Zu Unrecht, wie ich meine. Eine umfassende kommentierte Textsammlung ist bei A+C als online-Veröffentlichung erschienen. Aber auch Johanna Dürcks Dissertation erscheint mir bewahrenswert, um auf eine nicht unproblematische Einseitigkeit des Erkenntnisforschritts hinzuweisen. – Wie soll es, wie wird es weitergehen mit der Psychotherapie?

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