Paul Zech: TRUNKENES SCHIFF. SZENISCHE BALLADE UM ARTHUR RIMBAUD

Der Schriftsteller Paul Zech (1881-1946) trat zunächst hervor als Autor expressionistischer Lyrik und Prosa. Er fand Kontakt zu Else Lasker Schüler und Franz Werfel und lebte ab 1909 in Berlin. Seine Szenische Ballade Das trunkene Schiff (Uraufführung: Volksbühne Berlin 1926) wurde als einziges seiner mehr als 20 Theaterstücke bekannter. Seit 1924 entstanden Zechs Rimbaud-Nachdichtungen, die 1927 in einem Band vereinigt erschienen. Der relative Erfolg des Buches setzte allerdings erst nach 1963 ein, und zwar in einer 1944 stark überarbeiteten Version. Diese wurde bis in die jüngste Zeit hinein mehrfach nachgedruckt, obwohl die Texte äußerst frei übertragen wurden.

Die vorliegende Veröffentlichung (2022) möchte die Szenische Ballade in die gegenwärtige deutschsprachige Rimbaudrezeption hineinstellen. Eine ausführliche Einführung der Theaterwissenschaftler Hermann Haarmann & Klaus Siebenhaar (in dieser Ausgabe enthalten), vielleicht die einzige differenzierte Arbeit zu diesem Theaterstück, begründet, wieso gerade Zechs subjektiv-einseitige, anarchische, ungebärdige Szenische Ballade künstlerisch wertvoll und bewahrenswert ist: nämlich als Ausdruck künstlerischer Authentizität, die sich Kriterien der Theatertradition nicht beugen darf, um nicht zu Kunstgewerbe zu verkommen. – Arthur Rimbaud gilt in Frankreich und anderen Ländern auch unter den jüngeren Generationen als avantgardistischer, immer neu zu entdeckender Dichter, Künstler, Mensch. Im deutschsprachigen Raum fehlt diese gegenwartsorientierte Rezeption bisher weitgehend. Auch Paul Zechs Szenische Ballade könnte ein Anknüpfungspunkt sein.

Paul Zechs Arbeiten zu Rimbaud beleuchten vielleicht in ihrer subjektiven Einseitigkeit eine Facette Rimbauds, die in der Literaturwissenschaft gerne zu kurz kommt. So empfinde ich vor allem Zechs Szenische Ballade Das trunkene Schiff unbedingt als Bereicherung der Rimbaudliteratur. "Zechs Drama will gerade die Ambivalenz zwischen absoluter Kunst und absolutem Leben als höchste Stufe der Spannung, damit der fragilen Sensibilisierung des Dichters in einer entsensibilisierten, spießigen Welt aufzeigen. Die ständige Entgrenzung des schöpferischen Ichs führt zur Ich Dissoziation; die darin obwaltende Tragik erhöht die Kunstfigur zum Titan, der jene Polarität in sich bewußt auslebt." (Haarmann/Siebenhaar)

Zechs Theaterstück erinnert daran, daß auch Rimbaud kein Rousseau'scher Edler Wilder war – auch nicht in seiner ersten (poetischen) Lebenszeit. Er war einer von uns – vielfältig zersplittert in oft unvereinbare Facetten von Primärsozialisation, sozialen Normen und Widerstand gegen diese, Selbstentfremdung, seelischer Wurzellosigkeit und Konstruktionen von Beheimatung, Beziehungslosigkeit und individuellen Fähigkeiten und Intentionen, auf der Suche nach Sinn und Wert des eigenen Lebens, nach Bestätigung seines Soseins in der Menschenwelt.. – wie wir alle, nur mit besonders viel kreativer Begabung und Lebenskraft, Verzweiflung und Sehnsucht. In Rimbauds poetischem Werk lassen sich die Spuren all dessen überlesen, wenn wir es denn wollen; Paul Zech stellt solche Momente (und ihre praktischen Auswirkungen) in den Mittelpunkt seines Theaterstücks Das trunkene Schiff und bringt uns Arthur Rimbaud in besonderer Weise nahe, macht ihn für uns unmittelbar berührbar. Dies muß unterkomplex bleiben – wie unsere Erfahrung von Mitmenschen selbst im persönlichen Kontakt immer unterkomplex ist.

Was in den 20er Jahren noch schockierend war, können wir heute direkt nachempfinden und mitfühlen als Momente individueller Rebellion, wie sie zumindest seit der Beat Generation um 1950-1960 zum Spektrum jugendlicher und kreativer Entfaltung gehören (auch innerhalb von Theaterinszenierungen).

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