Heike Skrabs: PAUSENSPIEL

Diese 1989 in der DDR erstveröffentlichten Erzählungen handeln von Kindern und Jugendlichen zwischen dem Bemühen, ihr Eigenes in der sozialen Umgebung zu bewahren und zu entfalten – und den teilweise längst verinnerlichten Mechanismen der (Selbst-)Konditionierung. In Kindheit und Jugend kollidiert beides noch, oft in subjektiv unlösbarer Weise, führt dann zu tiefgreifender Irritation und Identitätsdiffusion, zu Scham, Demütigung, Hilflosigkeit, Unterwürfigkeit oder Stolz. Bei Erwachsenen haben sich solche Störfaktoren der Normalität meist abgeschliffen.

Die Autorin Heike Skrabs steht offensichtlich durchgängig auf der Seite marginalisierter und gesellschaftlich ausgegrenzter Menschen, – generell: der Schwächeren, und zu denen gehören in jedemfall die Kinder (zumindest so lange, bis sie gesellschaftskonform sozialisiert sind).

Ihre Geschichten spielen in der von kleinbürgerlichen Konventionen geprägten Welt kleiner Städte der DDR Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Oft geht es um das Dickicht der familiären Interaktion: Kontrollbedürfnisse, Schuldgefühle, Geborgenheitsbedürfnisse, Abgrenzungsbedürfnisse, Überforderung – all dies bei Kindern wie Eltern. Jedoch stehen diese alltäglichen Konflikte bei Kindern/Jugendlichen meist für etwas Grundsätzlicheres: sie sind Schritte in die Welt hinaus, und jede Erfahrung, die Kinder mit der Welt machen, hat zugleich symbolische Bedeutung: So ist es auf der Welt! So sind die Menschen (die Erwachsenen)!

Es sind ganz normale Situationen und Probleme in der normalen Alltagswelt "ganz normaler" Leute – aber Heike Skrabs läßt die Untiefen dieser Normalität aufscheinen, auch dies ohne Lösungen, ohne "Happy end". Es ist einfach so. Die meisten geschilderten Konstellationen sind uns altvertraut; dennoch ist es nötig, solche Zusammenhänge immer neu zu erzählen, in ihren unterschiedlichen Facetten. In jeder Generation neu muß die Frage gestellt werden: Was ist eigentlich "Normalität"? Wo endet ihr Recht? Auf welche Weise kann die individuelle Eigenart sich entfalten, die mit jedem Neugeborenen auf die Welt kommt?

Was meint "Pausenspiel", der Titel einer der Geschichten wie des Buches? – eine Pause wovon? vom alltäglichen Leben in Familie, Schule oder Arbeit? Möglicherweise entfaltet sich das wirkliche, das existentielle Leben von jungen Leuten nicht selten gerade in solchen Pausen, die der angeblichen "Realität" mit dem Blick auf die Uhr abgerungen werden müssen. Und ist "Spiel" (zumal unorganisiertes, nichtkollektiviertes Spiel – wir sind in der DDR!) denn etwas Nebensächliches?

Die Gewalt der öffentlichen Sozialisation (Meinungsmache, Vorurteile, Diffamierungen und Unterstellungen, bösartige Phantasie) zeigt die Autorin besonders deutlich in "Hinter sieben Bergen", der Geschichte eines schwulen Coming out. Die Erzählung gehört zu den seltenen literarischen Darstellungen zum Thema Homosexualität in der DDR.

"Das Leben" ist die zeitlose Geschichte einer existentiellen Grenzsituation. Aus ihm könnte unbedingt ein Film werden.

Heike Skrabs wurde 1961 in Bad Liebenstein geboren und verbrachte ihre Kindheit in Thüringen und Mecklenburg. Sie lebt in Rudolstadt.

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