Margit Kaffka: FARBEN UND JAHRE

Neu im Oktober 2023

Margit Kaffka wurde am 10. Juni 1880 in Nagykároly geboren. Das Städtchen, das an der Pforte Siebenbürgens liegt, gehörte damals noch zu Ungarn; nach dem ersten Weltkrieg fiel es durch den Friedensvertrag von Trianon an Rumänien.
Kaffka wird Lehrerin, sie unterrichtet und nutzt jeden freien Augenblick, um Kurzgeschichten und Gedichte zu verfassen, die in den Zeitschriften "Hét" und "Magyar Geniusz" veröffentlicht werden. Bald bewegt sie sich in literarischen und intellektuellen Kreisen und nimmt an Treffen in bürgerlichen Salons teil, am "Sonntagskreis" etwa, dessen Mittelpunkt Georg Lukács war. Ihre Arbeiten werden auch in "Nyugat" (Der Westen) veröffentlicht. Ihr Ruf als Autorin wächst mit der Veröffentlichung ihres ersten Romans SZÍNEK ÉS ÉVEK (= FARBEN UND JAHRE) weiter. Die Rolle der Frau in einer Zeit rapider sozialer Veränderungen ist eines ihrer beiden Hauptthemen. Ebenfalls aus dem eigenen Lebenslauf motiviert, bilden die Verarmung des Landadels und die tristen Verhältnisse in der Provinz den zweiten Schwerpunkt ihres Werks.
Margit Kaffka besaß eine scharfe Beobachtungsgabe und gestaltete Erscheinungen und Erlebnisse aus ihrer unmittelbaren Umgebung, deren Zeuge sie wurde. Ihre schöpferische Tätigkeit nährte sich nicht aus der Phantasie; sie begnügte sich damit, das Geschehen der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit darzustellen, sie beschrieb Männer und Frauen, denen sie begegnete, schilderte vor allem die seelischen Krisen der Frauen und durch diese die Gesellschaft, die Erzeugerin der Krisen. Die Zeichen der Zersetzung offenbarten sich ihr vornehmlich in der Familie, im Leben der Frauen, die nach Selbständigkeit verlangten, sich aber meist noch hilflos treiben ließen, und in den Veränderungen, die das Liebesverhältnis zwischen Mann und Frau erfuhr.

Mit der Verbürgerlichung, dem raschen Entstehen neuer Schichten in den Städten und dem Verfall der bisher herrschenden Klasse war eine Verschlechterung der literarischen Bildung Hand in Hand gegangen. Hatte die Leserschaft noch vor einigen Jahrzehnten bedeutende Schriftsteller zu würdigen gewußt, so begnügte sie sich jetzt häufig mit Unterhaltungsliteratur von zweifelhaftem Wert. Diesen Mißstand zu beseitigen, sah die neue Schriftstellergeneration zwischen 1900 und 1920 als ihre wichtigste Aufgabe an. Eine wesentliche Rolle spielten dabei die um die Zeitschrift NYUGAT gruppierten Dichter, zu denen auch Margit Kaffka — eine der wenigen bedeutenden Schriftstellerinnen der fortschrittlichen ungarischen Literatur — gehörte. Es entbrannte ein regelrechter literarischer Freiheitskampf, und die Erneuerung der Literatur erwies sich als Vorläuferin der sozialen Erneuerung. Margit Kaffka stellte sich mit Begeisterung in den Dienst der Sache, und zwar sowohl als schöpferische Künstlerin wie auch als Publizistin.

Der Ausbruch des ersten Weltkrieges brachte einerseits Verwirrung in die Reihen der Schriftsteller, vertiefte aber andererseits die Bedeutung der fortschrittlichen Künstler. Nicht Pazifismus, sondern die klare Erkenntnis der menschlichen und nationalen Interessen ließ sie diesen Krieg verurteilen. Sie wußten, daß Ungarn, das gegen seinen Willen in den Krieg verwickelte Land, nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hatte, ganz gleich, ob Deutschland oder die Entente den Sieg davontragen würde. Diese Einsicht führte die fortschrittlichen Intellektuellen (allen voran der Dichter und Publizist Endre Ady) immer mehr der Revolution zu.
Die Oktoberrevolution und die Ereignisse im Verlauf des verlorenen Krieges, die den Auftakt zu der Ungarischen Räterepublik bildeten, hat Margit Kaffka noch miterlebt und mitempfunden. Sie starb, ein Opfer der Spanischen Grippe, am 1. Dezember 1918, mit 38 Jahren. Ihr Werk umfaßt etliche Lyrikbände, Erzählungen, Romane und ein Tagebuch.

Das Lebensproblem der Magda Pórtelky in FARBEN UND JAHRE liegt darin, daß das Leben die möglichen Alternativen zu einer Ehe einengt; ob gut oder schlecht – die Ehe bestimmt die soziale Rolle der Frau. Magda ist voller Energie und Ehrgeiz. Doch nach dem Suizid ihres ersten Mannes muß sie diese grundlegende Abhängigkeit der Frau erkennen. Durch ihre zweite Ehe versucht sie, sich eine entsprechende Position zu sichern, jedoch mildert nicht einmal mehr diese traditionelle Geborgenheit des gesellschaftlichen Lebens ihre Enttäuschung. Magda wird zur passiven Frau in einer statischen Welt. Sie ist entscheidungsfreudig, doch ihr innerer Aufstand wird schließlich unterdrückt und zeigt sich entweder in billigen Affären oder in allgemeinem Ekel vor ihrem vergeblichen Sehnen. Kaffka zeigt hier die verfallen(d)e Welt des provinziellen Landadels aus dem Blickwinkel der besonderen Probleme von Frauen.

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