HEIDI SCHMIDT: das wahrnehmen der schwingungen und der buntheit zwischen den geschehnissen macht das leben voll

Tagebücher, texte, gedichte, bilder und ein stück, entstanden 1973 bis 1976

Heidi schmidt war radikal in ihrer suche nach wahrhaftigkeit – und tapfer in ihrer einsamkeit, die sich durch solche wahrhaftigkeit gewiß nicht ändern konnte! Sie erkannte, daß die gleichaltrigen der '68er-zeit, der alternativkultur mehrheitlich nicht wahrhaftiger (nicht weniger entfremdet, verdinglicht) waren als die majorität der erwachsenen, der sie zu entfliehen suchte. Eine bittere, schmerzhafte erkenntnis, wenn zugleich die sehnsucht nach beziehung, liebe, bindung, sozialer gemeinsamkeit so stark ist wie bei heidi schmidt. "sie rufen die leute zusammen sie wollen etwas wichtiges sagen und sie erzählen nichts von sich sie achten immer darauf wie die anderen es hören was sie sagen es ist wie im kino"

Voraussetzung solch leidenschaftlicher, radikaler und sprachgewaltiger selbstbefragung (und befragung der sozialen normalität) ist wohl immer ein moment indivueller verrücktheit. Ich lass' das jetzt mal so stehen. Die damalige alternativ-scene konnte jedenfalls mit heidi schmidts büchern mehrheitlich wenig anfangen. Offenbar hat kaum jemand damals verstanden, "dass meine andersartigkeit / und mein nicht-mitmachen-wollen / eine chance wäre".

Heidi schmidts tagebücher, texte und gedichte können unter dem blickwinkel ihrer einsamkeit, ihrer beziehungslosigkeit und isolation gelesen werden, sie können aber auch gelesen werden als zeugnisse ihres lebenswillens, ihrer kritischen kreativität, ihrer achtsamkeit für momente von entfremdung, verdinglichung – nicht nur bei anderen menschen, sondern auch bei sich selbst. Durch ihre erschütternd schonungslose ehrlichkeit sich selbst gegenüber – auch im bemühen, kompensationsformen, rationalisierungen und andere selbsttäuschungen zu entlarven, ihre seelischen verrücktheiten zu verarbeiten, werden ihre texte zu einer radikalen, wenn auch äußerst egozentrischen selbsterkundung. Indem heidi vorbehaltlos ihre individuelle selbsterfahrung formulierte, spricht sie für viele, viele menschen, denen es nicht gegeben ist, so tief in ihr inneres zu loten: "es gibt innere stimmen die dir antworten die stärker sind als jede traurigkeit wenn du dich nur richtig fragen kannst". Ihr eigenes leben und leiden, hoffen und sehnen, ihre resignation und verzweiflung wurde ihr zum erkenntnisinstrument für den zustand der beziehungen von menschen in unserer gesellschaft. Antriebskraft dieser tagebücher, gedichte, textfragmente und bilder war ihr individuelles leid ebenso wie ihre kreative intention: ihr eigenes leben wurde zum kunstwerk, dessen schöpferin sie war.

Heidi schmidts AKROBATENBUCH (ihre bilder) wurde bereits früher bei A+C wiederveröffentlicht - hier!

auc-127-heidi-schmidt-das-wahrnehmen-der-schwingungen