VERLAG LAMBERT SCHNEIDER / LOTHAR STIEHM VERLAG (1925–1999)

Die vorliegende Veröffentlichung entstand in der Überzeugung, daß die Welt der Verlage Lambert Schneider und Lothar Stiehm ein bewahrenswertes Moment der deutschsprachigen Kulturgeschichte ist, ebenso wie andere, in der Öffentlichkeit bekanntere Verlage. Lambert Schneiders hier wiederveröffentlichter Almanach (RECHENSCHAFT), die dokumentierten Verlagsverzeichnisse sowie beigegebenen Texte (auch von Lothar Stiehm) laden ein, Zusammenhänge, Interdependenzen, Spannungen, Widersprüche, Koinzidenzen zu erkunden zwischen Zeugnissen, die in ihrer je eigenen Weise menschliches Sein ausloten und großenteils noch heute lesenswert sind, die teilweise atemberaubend radikal, manchmal aber auch irritierend fern anmuten. "Ich war stolz darauf, daß meine Autoren originelle Außenseiter waren und Dinge auszusagen hatten, die man von den Lehrstühlen herab nicht hört." (Lambert Schneider) Aus der nur selten kommerziell begründeten Einladung der Verleger an potentielle AutorInnen entstand zwischen 1925 und 1991 eine imaginäre Gemeinschaft, die in mancher Hinsicht kostbares Potential ist, Grenzen des Denkens zu überschreiten. –

Zu entdecken gibt es eine Fülle judaistischer, christlich-theologischer und philosophisch-psychologischer Publikationen. Hier nur einige Namen: Leo Schestow, Blaise Pascal, Albert Schweitzer, Martin Buber, Viktor v. Weizsäcker, Karl Jaspers, Ludwig Binswanger.

Gleich nach 1945 öffnete Lambert Schneider seinen Verlag konsequent der (auch politisch gewichteten) Frage nach den Verbrechen, die in deutschem Namen und unter Mitwirkung zigtausender Deutscher begangen worden waren; auch zu diesem Bereich einige Namen: Alexander Mitscherlich, Michael Brink, Gustav Radbruch, Alfred Weber, Dolf Sternberger, Anne Frank, Else Lasker-Schüler.

Nach Schneiders Tod 1970 wurde der Verlag von Lothar und Christa Stiehm übernommen. Dabei wurde der seit 1966 bestehende Lothar Stiehm Verlag mit dem VLSch verbunden. Vor allem im Lothar Stiehm Verlag erschienen eigenwillige literaturwissenschaftliche Veröffentlichungen: Sigrid Bauschinger (ELSE LASKER-SCHÜLER) , Franz Büchler, Christian Friedrich Daniel Schubart (DEUTSCHE CHRONIK 1774–1777), DEUTSCHE INTELLEKTUELLE 1910–1933, Dietmar Goltschnigg (MYSTISCHE TRADITION IM ROMAN ROBERT MUSILS. MARTIN BUBERS "EKSTATISCHE KONFESSIONEN" IM "MANN OHNE EIGENSCHAFTEN"), Rainer Nägele (LITERATUR UND UTOPIE. VERSUCHE ZU HÖLDERLIN), William H. Rey (POESIE DER ANTIPOESIE. MODERNE DEUTSCHE LYRIK, 1978), Johannes P. Kern (LUDWIG TIECK – DICHTER EINER KRISE), Wiebrecht Ries (TRANSZENDENZ ALS TERROR. EINE RELIGIONSPHILOSOPHISCHE STUDIE ÜBER FRANZ KAFKA, 1977), Marianne Thalmann (Romantik, 3 Bände), Dieter Wyss (DER SURREALISMUS), Klaus Voswinckel (VERWEIGERTE POETISIERUNG DER WELT) und anderes.

Mehr oder weniger bewußt suchen wir alle unser Leben lang die Wahrheit der Welt, die auch in uns selbst bewahrt ist, die wir nur in uns selbst finden – aber kaum je vermitteln können. Der Verlag Lambert Schneider/Lothar Stiehm Verlag war ein virtueller Treffpunkt für Suchende. Aber auch die Wörter, die Bücher sind ja nicht Wahrheit, vermitteln höchstens Ahnungen, geben Fingerzeige. Die Suche geht weiter.

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