Detlev Walter Schimmelsack: GEDANKEN WERTE UNWERTE FLIEGEN LASSEN. Neue Gedichte

"Die Texte sind voller Einsamkeit und Sehnsucht und gleichzeitig getragen von Versuch, stark und allein zu stehen und nichts mehr zu hoffen. Der Dichter beschwört in den Gedichten seine Autonomie und doch macht er sich gerade dadurch verletzlich und abhängig. Die Gedichte sind getragen von dem Gefühl der Ausgrenzung, dem Wunsch dazuzugehören und gleichzeitig der Hoffnung, auch im anders zu sein Anerkennung zu finden. (…)
Es sind Gedichte zwischen Ausgrenzung und Einengung. Zwischen der Sehnsucht nach menschlicher Nähe und dem Wunsch, von dieser Nähe unabhängig zu sein. Zwischen Hoffnung und Selbstaufgabe. Vom Verirren und der Hoffnung heimzukehren. Gedichte, die berühren und verstören."(Aus dem Nachwort von Dr. Birk Eggers)

Diese veröffentlichung wurde herausgegeben von der SÄCHSISCHEN GESELLSCHAFT FÜR SOZIALE PSYCHIATRIE (SGSP e.V.)

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Mary Jane Ward: SCHLANGENGRUBE

Die amerikanische Schriftstellerin Mary Jane Ward (1905–1981) war 1939/40 Patientin einer psychiatrischen Klinik.  Auf der Grundlage ihrer Erfahrungen dort schrieb sie den hier wiederveröffentlichten Roman THE SNAKE PIT (1946). Die Veröffentlichung löste in der amerikanischen Öffentlichkeit, auch unter Psychiatern und Gesundheitspolitikern, lebhafte Reaktionen aus. Das Buch und ein nach ihm gedrehter Spielfilm führten in mehreren Staaten der USA zu Reformen der psychiatrischen Unterbringung und Behandlung. In Großbritannien wurde der Film erst nach einigen Schnitten zugelassen. In der BRD gab es keine nennenswerte öffentliche Reaktion.

Die Autorin vermittelt uns einen nuancierten, oft tief berührenden Einblick in die Erfahrungen und das Empfinden einer Frau des amerikanischen Mittelstands, die es in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts in eine "Irrenanstalt" verschlägt. Jenseits psychiatrischer Begrifflichkeit werden Momente psychotischer Verwirrung und Verlorenheit im kontinuierlichen (aber gebrochenen) Bewußtseinsstrom der Protagonistin deutlich. Unaufdringlich werden im Fluß der Handlung die kommunikativen Verknotungen, Verwirrungen zwischen psychiatrischen Patientinnen und "den Gesunden" vermittelt. Unangemessene, unsensible Kommunikationsweisen gerade in einem psychiatrischen Krankenhaus, wo Betroffene sich fachliches Verständnis versprechen, führen zur iatrogenen Zerstörung des Selbstwertgefühls – damals wie heute! Psychiatrische PatientInnen sind sich ihrer Symptomatik zeitweise durchaus bewußt. In der unsicheren Einschätzung des Grads der eigenen Gesundheit oder Krankheit schämen sie sich, versuchen kognitive Defizite zu verbergen vor anderen (insbesondere den Ärzten), sie zu rationalisieren. Nicht selten fühlen sie sich den Ärzten und klinischen Psychologen gegenüber wie SchülerInnen, die verbergen wollen, daß sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Daß die paranoiden, halluzinatorischen, wahnhaften Verkennungen in der Psychose um nichts weniger evident sind als Eindrücke im nichtpsychotischen Zustand, daß in der Psychose beides in vielfältiger Abstufung ineinander übergeht, Minute für Minute, läßt sich gerade in diesem romanhaften Bericht besonders gut nachvollziehen, weil es hier durchgängig um alltägliche Umstände und Klärungsprozesse geht, – nicht um ausufernde psychotische Phantasien, wie sie üblicherweise als Beleg für das angeblich Nichteinfühlbare der Psychose angeführt werden. Deutlich wird auch, wie leicht es ist, psychiatrische PatientInnen zu verfehlen, wenn wir nur nach psychotischen Symptomen Ausschau halten und die alltäglichen Lebenserfahrungen vernachlässigen.

Bei allen kritischen, sarkastischen und ironischen Bemerkungen porträtiert die Protagonistin ihre Mitpatientinnen im allgemeinen achtungsvoll, mit soviel Einfühlung, wie sie aufbringt. Oft läßt sie uns deren Einsamkeit und die individuellen Kompensations- und Rationalisierungsversuche nachfühlen. Die ganz eigene Authentizität von PsychiatriepatientInnen stellt sie mehrfach der sozialen Normalität der Außenwelt gegenüber, wobei diese keineswegs besser abschneidet. Selbst ihrem eigenen Gesundungsprozeß steht Virginia gelegentlich ambivalent gegenüber: "Ich nähere mich dem Nichtpatientenstatus. Mein Mitgefühl verliert sich. Meine Sympathie. Ja, und meine Großzügigkeit …"

Trotz der unterschiedlichen Ausgangslage läßt sich dieser romanhafte Bericht in vielem auf die heutige stationäre Psychiatrie übertragen, auch im Hinblick auf die instititutionellen und sozialen Umstände der Betreuung.

(Aus dem Nachwort)

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Mondrian w. graf v. lüttichau: DU UND ICH. Beziehungsorientierte enthospitalisierung mit hindernissen

Berichtet von der arbeit als heilpädagoge in einem enthospitalisierungsprojekt lebenslang fehlplazierter erwachsener aus einem (ost-)berliner psychiatrischen krankenhaus (WGK, 1995-98). Im vordergrund stehen die für derartige vorhaben typischen konflikte: Das bisherige betreuungsteam erlebt seine (an der gruppensituation orientierte) arbeit als entwertet, kann nur schwer kooperieren – was von den um individualisierte entwicklungsförderung bemühten enthospitalisierern zu wenig berücksichtigt wird. Dazu kam meine situation "als wessi" in einem zu diesem zeitpunkt noch vollständig DDR-sozialisierten umfeld. Unterschiedliches konflikt- und machtverhalten mußte erstmal als solches wahrgenommen werden. Trotz aller schwierigkeiten war das projekt im wesentlichen ein erfolg.

Das letzte drittel des buches enthält anonymisierte entwicklungsberichte über einzelne bewohnerInnen aus diesem projekt, um die konkrete heilpädagogische arbeit für außenstehende nachvollziehbarer zu machen.

Fünf jahre, bvor ich dort anfing, berichtete die TAZ so von unseren stationen (link)!

Übrigens entstehen derzeit wieder zunehmend vergleichbare einrichtungen, in denen "chronisch psychisch kranke" und "geistig behinderte" menschen bei unangemessener betreuung langzeithospitalisiert werden, - auch in berlin: http://www.tagesspiegel.de/politik/unter-ausschluss/7900466.html !

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Mondrian w. graf v. lüttichau: THERAPIE ODER LEBEN ? – Begegnungen in der akutpsychiatrie

Neuauflage November 2018 (mit einem Beitrag von Rosemarie Haase, Leipzig)

Bestandteil meiner empfindungen und erfahrungen während der dreijährigen arbeit in verschiedenen akut- und subakutstationen eines psychiatrischen krankenhauses (in berlin) war die selbstverständlichkeit, 'außenseiter' zu sein und fast ausschließlich mit 'außenseitern' zu tun zu haben, seit der kindheit. – Gesellschaftliche ordnungskategorien wie 'krank', 'gesund', 'vorgesetzter', 'untergebener', 'professionelle beziehung', 'arbeit', 'hobby', 'privatleben', 'klient', 'helfer' waren von daher für mich nie selbstverständlich, vielmehr habe ich dem sinn jeder begegnung situativ gerechtzuwerden versucht, egal mit wem. – Dabei war und bin keineswegs ich als 'profi' immer der 'helfende'und jemand mit 'psychischer erkrankung'demgegenüber die oder der 'hilfebedürftige'. – "Es sollte immer ein geben und nehmen sein, - nur dann kann ich vertrauen haben zu einem freund oder einem therapeuten!" hat mir unlängst jemand gesagt..

Mitgenommen habe ich die überzeugung, daß die akutpsychiatrie unter den gegebenen gesellschaftlichen bedingungen nicht reformierbar ist. Allenfalls kann sie kriseninterventionsfunktion haben. Sofern 'therapie' etwas im sinne von gesundwerden, heilen meinen soll, ist der begriff in diesem zusammenhang nicht angebracht.

Mitgenommen habe ich aber vor allem das geschenk von begegnungen, die mir bis heute orientierung und bestätigung sind. Noch immer dankbarkeit, noch immer trauer - -

Mitgenommen aus der zeit in der akutpsychiatrie hab ich nicht zuletzt die erfahrung, daß es tatsächlich um liebe geht, - und daß liebe letztlich nur eines bedeuten kann: vorbehaltlose achtsamkeit für ein gegenüber, für die menschen, für das leben.

Die neuausgabe 2018 wurde durchgesehen und erweitert um abbildungen (aus der gestaltungstherapie) sowie einen anhang zum gedächtnis an SONJA GERSTNER. Darüberhinaus enthält sie einen beitrag von rosi haase (leipzig): "Meiner Erfahrungen mit der DDR-Psychiatrie" sowie faksimiles eines flugblattes des NEUEN FORUMS (november 1989) zur situation von psychiatrie-betroffenen in leipzig.

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